Wenn eine Organisation den hundertsten Geburtstag feiert und sich im aktuellen Umfeld behaupten kann, darf sie zu Recht stolz sein auf das Geleistete. Sie hat offensichtlich gelernt, das Gute und Bewährte mitzunehmen und weniger Erfolgreiches hinter sich zu lassen. Sie hat gelernt, mit Krisen umzugehen, flexibel und anpassungsfähig zu sein und sich den Herausforderungen zu stellen. Aber auch 100 Jahre Erfahrung geben keiner Organisation die Garantie für eine erfolgreiche Zukunft; keine Sicherheit, dass die immer wieder neuen Fragen weiterhin gelöst werden können. Es gibt eine umfassende Literatur und ausgezeichnete Berichte zur Geschichte der Klinik Arlesheim, über den Mut und die Weitsicht der Gründerin und des Gründers sowie der Pionierinnen und Pioniere mit ihrem Verständnis einer Anthroposophischen Medizin. Bereits die erste Publikation zu diesem Thema aus dem Jahr 1925 von Rudolf Steiner und Ita Wegman „Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen“ beschreibt die Bedeutung der integrierenden und erweiterten Medizin.
Nachfolgend werden aus den Lernfeldern der Vergangenheit und Gegenwart mögliche Erfolgsfaktoren für die Zukunft abgeleitet und mit der nötigen Vorsicht einige strategische und operative Themen beschrieben:
• Ein gemeinsam getragenes Menschenbild, das eine gegenseitige Wertschätzung und soziale Wärme, den gegenseitigen Respekt im Umgang mit den Patientinnen und Patienten und den Mitarbeitenden sowie eine innere geistige Haltung umfasst.
• Der unbedingte Glaube an die heilende Wirksamkeit der integrativen, klinikspezifischen Behandlungen. Das Wissen, dass die Persönlichkeiten und die Wahrnehmung der Patienten und der Therapeutinnen sich finden müssen, damit die daraus entstehende Zusammenarbeit die Genesung, die Stärkung der gesunden Kräfte, die Selbstregulation der Lebensprozesse und die Entfaltung der Persönlichkeit der Patienten ermöglichen kann.
• Die interdisziplinäre und interprofessionelle Zusammenarbeit und damit ein ganzheitliches Vorgehen in der Arbeit mit den Patientinnen und Patienten als Selbstverständlichkeit, als Normalfall. Ein Verständnis von Zusammenarbeit, das Licht und Klarheit in die Behandlung, Achtsamkeit und Mitgefühl in die therapeutische Beziehung bringt.
• Ein gesundes Vertrauen in das integrative Zusammenwirken der Anthroposophischen und der Schulmedizin, in die klinikeigenen Behandlungs- und Pflegekonzepte, in die Therapien und Heilmittel, die immer die Wechselwirkungen zwischen Körper, Seele und Geist berücksichtigen.
• Neugier und (Selbst-)Bewusstsein, wo nötig Vorhandenes zu verbessern und zeitgemäss anzuwenden, auch wenn es im Widerspruch zu Vergangenem steht und Bestehendes in Frage stellt.
• Ausgewogenheit und Selbstsicherheit, neue Wege ohne Berührungsängste und Vorurteile zu beschreiten, auf soziale Herausforderungen zu reagieren und falls nötig auch mal dem Mainstream etwas entgegenzusetzen. Bereit zu sein, Unsicherheiten nicht auszuweichen und wo möglich Grenzen auszuloten.
• In der Behandlung und beim Heilungsprozess die multifaktoriellen und ganzheitlichen Ansätze der Klinik den technischen Interventionen und deren Verlässlichkeit gleichzusetzen und/oder zu integrieren; auch im Wissen, dass der Umgang mit komplexen Situationen und nicht direktiven Interventionen vom traditionellen, klassischen Wirkungsund Forschungsverständnis abweichen kann.
• Die Erkenntnis akzeptieren, dass bereits heute, aber vor allem in Zukunft unsere Klinik mehr als ein klassisches Spital sein wird. Sie ist eine interprofessionelle und interkulturelle medizinische Organisation, sie ist aber auch eine „Akademie“ im Sinne der Zusammenarbeit von Praktikerinnen und Vertretern der Wissenschaft, der Lehre, der Forschung und der Organisationsentwicklung. Dadurch werden die Qualität der medizinischen Arbeit, aber auch die für die Zukunft unabdingbare Offenheit und Nachhaltigkeit sichergestellt. Die Themen und Fragestellungen müssen die Gesundheitsversorgung umfassend beleuchten, soziale und gesellschaftliche Fragen integrieren, die eigene Organisation in Frage zu stellen, um so einen Beitrag zur heilsamen Entwicklung des Gesundheitswesens zu leisten und die Wirksamkeit und die Ausstrahlung der Klinik auch für die Zukunft zu garantieren.
Die kontinuierliche Umsetzung und Anwendung, die ständige Weiterentwicklung, das Arbeiten mit diesen Erfolgsfaktoren verlangt von allen in der Klinik tätigen Menschen viel. Der Weg der Klinik in die Zukunft umfasst das Anwenden von Strukturen und Vorgaben, aber auch das Ermöglichen von Selbstorganisation, von Bottom-up-Lösungen; er ist weder konfliktfrei noch kritikfrei, und die Betroffenen werden an den eigenen Vorgaben gemessen. Die Liebe zur Klinik muss in der täglichen Arbeit präsent und spürbar sein. Von den Vorgesetzten wird eine hohe Glaubwürdigkeit, Transparenz sowie eine gelebte Wertschätzung und ein aufrichtiges Interesse an der Klinik und den Menschen, die hier arbeiten, erwartet. Alle Mitarbeitenden müssen am Arbeitsplatz die Werte und Konzepte der Klinik glaubhaft umsetzen, die eigenen Interessen – wo nötig – zum Wohl der Behandlung zurückstellen oder integrieren. Und alle müssen bereit sein, sich selbstbewusst den Herausforderungen zu stellen, sich in der Arbeit und in der Zusammenarbeit zu hinterfragen; bereit sein, zu lernen und an der eigenen Persönlichkeit, am eigenen Ich zu arbeiten.
Die Belohnung dafür ist Dankbarkeit von Patientinnen und Patienten, der Respekt und die Wertschätzung der Kollegen und Kolleginnen und das gute Gefühl am Ende eines Arbeitstags, eine sinnvolle und sinnstiftende Tätigkeit erbracht zu haben. Aber auch die Erkenntnis, an einem Ort zu arbeiten, wo sich spannende und motivierte Menschen mit gemeinsamen Werten auf dem Weg zu gemeinsamen Zielen befinden und wo sie die eigenen Potenziale und Ressourcen einbringen können.
In diesem Sinn ist die Aussage der Gründerin Ita Wegman „Ich bin für Fortschreiten“ auch für die nächsten 100 Jahre der Klinik gültig. Immer mit dem Wissen, dass zu jedem Erfolg auch immer das nötige Glück, die positiven Zufälligkeiten – das Richtige im richtigen Moment – und eine Portion freudige Bescheidenheit gehören.
weitere Angaben zum Arbeitsschwerpunkt: |
Zudem war er über 10 Jahre Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen (SQMH) und Vorstandsmitglied der deutschen Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung (GQMG). |