Yaike Dunselman setzt sich seit Jahren mit der heilenden Architektur auseinander. Er hat diesen Planungsansatz von Anfang an in den Gestaltungsprozess des Klinikneubaus einfliessen lassen.
Yaike Dunselman: Wenn Sie als Patientin oder Patient im Spital liegen, setzen Sie sich ausgiebig mit dem Raum auseinander, in dem Sie sich befinden. Die Welt wird klein, Details werden wichtig, wie der Blick durchs Fenster, das Licht im Raum, das Klopfen an der Tür. Wir wissen, dass Kranke auf Geräusche, Gerüche, Helligkeit und Farben sensibler reagieren als Gesunde. Die heilende Architektur versucht, alle diese Faktoren aufzugreifen und im Spitalbau so zu gestalten, dass sie die Heilungsprozesse fördern, anregen, beschleunigen.
Das Maximum ist nicht das Optimum. Zugegeben, als Niederländer können mir Fenster nie gross genug sein! Gross, tief und gardinenlos. Aber ich habe schnell begriffen, dass das für den Neubau der Klinik Arlesheim falsch wäre. Fenster sind Übergänge. Sie öffnen zur Aussenwelt und lassen diese gleichzeitig einströmen. Die Architektur darf den Patienten im Spital nicht exponieren wie den Fisch im Aquarium, sie muss ihn auch abschirmen, umhüllen und schützen. Offenheit und Geborgenheit, diese zwei Polaritäten muss man architektonisch in eine Balance bringen.
Wir bringen Offenheit und Geborgenheit in ein harmonisches Verhältnis zueinander. Dieser Grundgedanke definiert die Proportionen der Fensterscheibenflächen und die ganze Fassadengestaltung mit ihrem grossen Holzanteil. Dieser verkörpert sich bei den Patientenzimmern in einer Brüstung und in filigranen Lamellen, die den Blick nach draussen begrenzen, rahmen und filtern. Zusätzlich ermöglichen Storen und Vorhänge, den Einfall des Tageslichtes zu dosieren.
Visualisierung des Neubaus der Klinik Arlesheim
Den Anstoss zu «healing architecture» gab eine Studie von 1984. Darin gelangt es einem Architekturprofessor, einen gesundheitsfördernden Einfluss der Spitalbaus nachzuweisen. Er konzentrierte sich auf die Spitalfenster und verglich zwei Gruppen von Patienten, die alle den gleichen operativen Eingriff hinter sich hatten und die gleiche Pflege bekamen. Diejenigen mit Blick in einen grünen Park brauchten weniger Schmerzmittel, wurden seltener depressiv und konnten einen Tag früher entlassen werden als die, die Aussicht auf eine Betonwand hatten. Seitdem sind viele Arbeiten zu diesem Thema erschienen.
Alle Patientenzimmer und alle Arbeitsräume sind kranzartig um ein grosszügiges Atrium herum angeordnet. Das Atrium ist der Ankerpunkt oder das Herzstück des Baukörpers. Von oben herab wird viel Tageslicht ins Atrium fluten und sich bis ins Erdgeschoss ausbreiten. Gleichzeitig wird man sich auf der geschwungenen Holztreppe auf und ab bewegen und dabei den Raum besonders wahrnehmen. Als Ganzes verstehen wir das Atrium als das innere Gegenstück zum äusseren Park. Aussen Natur, innen Kultur. Das Atrium wird auch künstlerische Akzente bekommen und zusätzlich als Ausstellungsraum dienen.
Ja, ein hoher Anteil Tageslicht ist wichtig. Aber noch wichtiger ist es, eine gute Mischung aus Tageslicht und künstlichem Licht hinzubekommen. Alles in allem streben wir nach einem ruhigen, als natürlich empfundenen Licht, das sich nicht aufdrängt und keine Blendeffekte verursacht. Es muss sorgfältig und umsichtig in die Architektur integriert sein. Dazu haben wir ein umfassendes Lichtkonzept erarbeitet.
Farben unterstützen zum einen die Orientierung im Gebäude. Wir geben jedem Stock einen dezenten Farbton. Zum andern lassen wir die natürlichen Farben der Baustoffe sprechen. Wir bemalen weder Holz noch Lehm noch Beton. Das Farbklima wird dominiert sein vom Zusammenspiel des naturbelassenen Massivholzes und den unbemalten Lehmputzflächen. Beide Materialen zeigen wir in ihrer Natürlichkeit, sie schaffen den starken Naturbezug, den wir in der heilenden Architektur anstreben. Ausgenommen sind nur wenige Arbeitsräume, die aus Gründen ihrer Nutzung bzw. der Hygiene eine Behandlung des Holzes erfordern. Und natürlich suchen wir im Zusammenspiel von Holz und Lehm wiederum, Polaritäten auszugleichen, also gegensätzliche Materialien und deren gegensätzliche Ausstrahlung in ein ausgewogenes Verhältnis zu bringen.
So könnte man sagen, wobei der Klinikneubau in Arlesheim noch speziell das Spielerisch-Lebendige dieses Zusammenspiels unterstreicht. Die Polaritäten verharren nicht in einem starren Verhältnis, sondern verhalten sich zueinander in polaren Prozessen, wie wir sie in der Rhythmik des organischen Lebens sehen, im Ein- und Ausatmen zum Beispiel, oder im Wechsel von Kontraktion und Expansion. So verengt sich die Weite des Vorplatzes zur Schleuse des Spitaleingangs, und diese Enge weitet sich innen wieder, zum Atrium hin. Oder der Blick wird innen von funktional-rechtwinkligen Bauformen zu Rundungen wandern und von Rundungen wieder zu rechten Winkeln. Die Formensprache des Spitalbaus ist damit ganz nah am Phänomen der Gesundheit, die ja auch nichts anderes ist als ein fortwährendes Ausgleichen von Einseitigkeiten. Die Spitalarchitektur kann das sinnlich erfahrbar machen.
Selbstverständlich integrieren wir auch akustische Massnahmen, um sicherzustellen, dass sich vom zentralen Atrium kein störender Geräuschteppich in die Peripherie des Gebäudes ausrollt. Dasselbe gilt von der Gastronomie im Parterre. Wir schirmen diese Zone baulich so ab, dass sich kein Besteckgeklirr und keine Küchengerüche verbreiten. Im Übrigen wird das Spital etwas nach Holz duften.
Es gibt wissenschaftliche Forschungen zu den günstigen Auswirkungen von Holz auf die Gesundheit des Menschen. Holz ist antibakteriell und gibt Wirkstoffe ab, die das vegetative Nervensystem beruhigen und die Immunkräfte stärken. Diese Qualitäten hat auch Holz, das im Winter bei abnehmendem Mond geschlagen wurde. Zudem ist Mondholz physikalisch dichter als herkömmliches Holz, widerstandfähiger gegen Keime und langlebiger. Wichtig ist auch, wie es verbaut wird. Die einzelnen Bretter werden mit speziellen Holzdübeln, also ganz ohne Leim, zu massiven Holzelementen verbunden, die im Zusammenspiel mit dem Lehmverputz das Raumklima stabilisieren. So verbindet sich der Planungsansatz der heilenden Architektur mit dem Energiekonzept des Klinikneubaus.
Jeder Faktor ist wichtig oder kann es werden. Am wichtigsten ist die Synergie der einzelnen Faktoren in einem Zusammenspiel der Polaritäten. Der Neubau wird sich öffnen und mit viel Tageslicht füllen, aber gleichzeitig in umhüllender Gestik Grenzen ziehen, abschirmen und schützen. Er wird schnörkellos funktional sein, aber lebendig runde, bogenförmige Akzente setzen. Und er wird der integrativen Medizin in Arlesheim ein natürliches neues Zuhause geben. Persönlich bin ich sehr dankbar für dieses Projekt, speziell für die inhaltlich anspruchsvollen Fragen und Rückfragen der Klinik Arlesheim. Ein kritisch mitdenkender Bauherr macht den Prozess noch interessanter und hilft, die Architekturqualität zu steigern. Jede Fragestellung kann das Ergebnis mitbestimmen. Je besser die Fragen, desto besser das Ergebnis.
Yaike Dunselman führt seit 2003 zusammen mit Lars Frerichs das internationale Architekturbüro 9grad architektur in Amersfoort (NL), Oldenburg (D) und seit 2024 auch in Zürich. Das Büro hat schon mehrere Architekturpreise und Nominierungen erhalten.