Judit Kedves: Mir persönlich ging es damals so: Nach sechs Jahren war ich mit dem Studium fertig und fragte mich, „War es das jetzt?“. Ich habe in der Ausbildung viel über den physischen Körper und das Funktionelle des Menschen gelernt. Doch ich habe nichts über andere Ebenen des Menschen erfahren. Viele meiner Fragen wurden überhaupt nicht gelehrt. Diese ergänzenden Aspekte habe ich dann in der Anthroposophischen Medizin und ihrem erweiterten Menschenbild gefunden. Für mich ist es wesentlich, aus welchem Menschenbild heraus ich ärztlich tätig bin. Unsere Kursteilnehmenden stehen an sehr unterschiedlichen Punkten ihres Lebens und ihrer Entwicklung. Manche sind noch im Studium, manche in der Facharztausbildung, manche bereits am Ende ihrer beruflichen Karriere. Im Arztberuf braucht es ständig Weiterbildung, wir sind dazu verpflichtet. In der Schweiz ist unsere anthroposophische Ausbildung anerkannt. Es gibt den Fähigkeitsausweis „Anthroposophisch erweiterte Medizin“, das ist auch praxisund abrechnungsrelevant.
Rob Schapink: Diese andere Profession steht für mich nicht im Vordergrund. Ich habe selbst auch Medizin studiert und erinnere mich an die Anforderungen und die Art des Studiums. Ich bin froh, wenn ich es schaffe, die Teilnehmenden in die Bewegung zu bekommen. Bei Medizinern fällt mir die Betonung des Denkens auf. Für mich ist es schön, sie in einen anderen Bereich einzuführen, und ich freue mich, wenn das gelingt. All die Ärztinnen und Ärzte, die zur Ausbildung kommen, haben bereits einen bestimmten Weg gemacht, sonst wären sie gar nicht hier. Sie sind auf der Suche und haben ein Bedürfnis. Es ist sehr schön, da in Kontakt zu kommen.
Norman Kingeter: Wir kommen diesem Bedürfnis, dieser Frage entgegen. Es ist das Interesse an der Eurythmie. Da haben wir etwas anzubieten. Das ist je nach Gruppe sehr anders. Jede Berufsgruppe hat ganz eigene Fragen. Manche haben über Eurythmie schon viel gehört, auch Merkwürdiges, was nicht verstanden wurde. Ich erlebe viel Motivation bei den Teilnehmenden, das genauer kennenzulernen. Ich finde es wichtig, gegenseitiges Verständnis zu fördern. Da geht es viel um Kommunikation, um Besprechungsräume. Die wollen wir gern schaffen.
Rebekka Lang: Ich finde das richtig spannend. Ich brauche in der Ärzteausbildung eine andere Herangehensweise als wenn ich diese Inhalte an Pflegende weitergebe. Ärzte sind eher „kopflastig“ – das bringt ihr Beruf mit sich. Ihre ganze Ausbildung ist darauf ausgelegt, analytisch und scharf denkend Zusammenhänge zu sehen und Probleme zu lösen. Deshalb ist es mir besonders wichtig, dass sie über das Ausprobieren, über das Erleben in die Theorie kommen. So erleben sie zuerst einen Wickel, bevor ich ihnen vermittle, wofür wir den brauchen respektive bei welchen Indikationen er hilfreich sein kann. So gehen wir von der Pflanze aus, riechen an der Substanz, bevor ich erläutere und vor allem zeige, wie eine solche Wickelanwendung abläuft. Alle Teilnehmenden kommen während des ersten Ausbildungsjahrs in den Genuss einer Ingwer-Nieren-Kompresse, wie sie ein Patient auch erhalten würde, mit allem Drum und Dran. In der Pflege unterrichte ich häufig so, also vom Erleben zur Theorie, bei den Ärztinnen und Ärzten ist das eher etwas Neues. Ich persönlich profitiere sehr vom analytischen Denken der ärztlichen Teilnehmenden.
Norman Kingeter: Das Besondere für mich ist, dass man an sich selbst arbeitet. Diese Selbstentwicklung ist ein wesentlicher Teil der Ausbildung.
Rob Schapink: Genau! Ausserdem erlebe ich diese Ausbildung als sehr interaktiv. Es ist wenig frontale Wissensvermittlung, sondern meist ein Miteinander, ein gemeinsames Agieren.
Judit Kedves: Wir wollen diese Ausbildung bewusst jung und modern gestalten. Das ist nicht abhängig davon, wie alt die Teilnehmenden sind – wie gesagt, da haben wir eine ziemliche Bandbreite. Uns geht es um ein nachvollziehbares und transparentes Curriculum. Wir legen grossen Wert auf den „roten Faden“ in der Ausbildung. Wir haben eher eine fragende Haltung und wollen nicht ein „So ist es“ vermitteln. Es ist ein Weg, den wir alle zusammen und doch jeder einzeln geht.
Rebekka Lang: Wir haben verschiedene interdisziplinäre Angebote. Die Ausbildung ist auch für andere medizinische Berufe offen. Mir fällt immer wieder auf, dass es um das eigene Erleben und Wahrnehmen in der Ausbildung geht. Das eher Theoretische kann am praktischen Beispiel wie bei den Äusseren Anwendungen, der Heileurythmie oder anderen Übungen innerlich nachempfunden und verifiziert werden. Was begeistert Euch an dieser Ausbildung? Warum seid ihr im Team der Dozierenden?
Judit Kedves (wendet sich an die beiden Heileurythmisten in der Runde): Mit euch beiden habe ich erstmals erlebt, dass ich mit Heileurythmisten diskutieren kann. Uns macht das Suchen, Entwickeln aus. Wir wollen Menschen begeistern. Uns verbindet, dass wir gemeinsam um Antworten ringen.
Norman Kingeter: Wir wollen die Anthroposophische Medizin verständlich machen. Dabei geht es auch um eine Erweiterung der Behandlungsmöglichkeiten zum Wohl der Patientinnen. Das ist eine schöne Aufgabe.
Rob Schapink: Das ist für mich ein Grund, hier zu unterrichten. Wir gehen zusammen von einer Frage aus. Wir geben keine Antworten vor, sondern begeben uns zusammen auf die Suche. Die Ausbildung orientiert sich am Curriculum. Doch die Umsetzung dieses Lehrplans ist abhängig von der jeweiligen Gruppe: Wie geht sie mit? Wo liegen die Bedürfnisse der Teilnehmenden? Das nehmen wir auf und berücksichtigen es in der Ausgestaltung der einzelnen Module.
Rebekka Lang: Das Interdisziplinäre lebt in der Ausbildung stark. Mich persönlich begeistert natürlich das echte Interesse an den Äusseren Anwendungen. Wir sind zusammen unterwegs, suchen gemeinsam Wege. In der Ausbildung wird darauf hingearbeitet, eine gemeinsame Sprache zu finden – auch zwischen den verschiedenen Berufsgruppen. So können wir als Team zusammen mit dem kranken Menschen schauen, wie wir ihn oder sie unterstützen können. Ausserdem sind tolle Menschen im Dozierendenteam; es macht einfach Spass, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das neue Angebot „Foundation Studies“ begeistert mich besonders, weil es in diesem Kurs möglich ist, die Inhalte der Anthroposophischen Medizin mit Menschen aus anderen Kulturen zu diskutieren. Wie gehen Menschen in Spanien oder Japan mit Krankheit und Gesundheit um? Das sind doch spannende Fragen! Zudem versuchen wir, eine gesunde Art des Online-Unterrichts zu finden und zu leben – mit vielen interessanten Diskussionen.
Judit Kedves: Rob hat es schon erwähnt: Wir orientieren uns am Curriculum. Doch ich habe in den verschiedenen Jahrgängen noch nie erlebt, dass die Ausbildung gleich abläuft. Das kann auch gar nicht anders sein, wenn wir den Unterricht entsprechend den Bedürfnissen gestalten. Das ist auch in den Praxistrainingseinheiten so. Diese Offenheit und Teilnehmerorientierung zeichnet uns aus.
Norman Kingeter: Wenn man sich von der traditionellen Medizin ausgehend der Anthroposophischen Medizin nähert, geht es immer um Prozesse. Man versucht immer, Wege zu gehen. Eurythmie erlebe ich als ein gutes Mittel, um mit Bewegung Prozesse erlebbar zu machen.
Rob Schapink: Wenn ich es mit dem künstlerischen Prozess vergleichen darf, scheint es mir ganz wichtig, immer aus einer fragenden Haltung künstlerisch zu schöpfen. Wirkliche Kunst entsteht doch aus der Suche.
Norman Kingeter: Ja, und übertragen auf unsere Berufe lässt sich das wohl darin sehen, dass du eine umso bessere Ärztin oder ein umso besserer Therapeut bist, je mehr der kranke Mensch eine Frage für dich darstellt.
Judit Kedves: Dazu passt eine Aussage vom ehrwürdigen Hippokrates: „Es ist viel wichtiger zu wissen, welcher Mensch eine Krankheit hat, als welche Krankheit ein Mensch hat.“ Im Medizinstudium lernen wir alles über Krankheiten. Das ist sehr gut und wichtig. Aber irgendwann fragst du dich: Wo ist der Mensch? Um diese Frage bemühen wir uns die ganze Zeit.
Norman Kingeter: In der Ausbildung geht es auch um Erfahrungsaustausch unter Kolleginnen und Kollegen. In den Praxistrainingseinheiten werden körperliche Untersuchungen vorgenommen. Es gibt also richtig Handfestes. Dieser Faktor von Begegnung und Austausch unter Teilnehmenden ist ebenfalls etwas Besonderes und gefällt mir persönlich immer sehr gut.